Fernbehandlung – aktueller Stand

Der 121. Deutsche Ärztetag hebt das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt auf und macht damit den Weg frei für die Telemedizin in Deutschland

 

Mit dem Änderungsbeschluss der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung hat der 121. Deutsche Ärztetag das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung prinzipiell aufgehoben, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Nun soll es also künftig möglich sein, dass Ärzte ihre Patienten ohne persönlichen Kontakt telefonisch oder via Internet beraten und behandeln. Erste Testreihen dieser Art der Fernbehandlung laufen bereits seit 2017 in Baden-Württemberg. In 2018 folgten Schleswig-Holstein und nun auch Sachsen. Beide Länder wollen die ausschließliche Fernbehandlung unter bestimmten Voraussetzungen künftig auch außerhalb einzelner Modellprojekte erlauben. Doch auch alle anderen Länder werden Änderungen in ihren Berufsordnungen vornehmen müssen, denn die neuen Regelungen der MBO-Ä zur Fernbehandlung sind bundesweit verbindlich. Bis es in Deutschland flächendeckende Angebote zur Fernbehandlung geben wird, werden aber wohl noch ein paar Jahre vergehen.

 

 

Neue Regeln für die Fernbehandlung

Das Thema Fernbehandlung bestimmt seit Jahren die Diskussion um den digitalen Fortschritt im Gesundheitswesen. Telemedizin lautet das Schlüsselwort; ein Sammelbegriff für nahezu alle digitalen medizinischen Angebote von elektronischen Akten bis hin zu ärztlichen Konsultationen via Internet und Telefon.

 

Während die Fernbehandlung in anderen europäischen Ländern wie Schweden, Großbritannien und der Schweiz inzwischen zum normalen Alltag der Ärzte und Patienten gehört, war die ausschließliche Fernbehandlung in Deutschland bislang untersagt. Das bestimmte § 7 Abs. 4 MBO-Ä. Demnach war eine Fernbehandlung zwar grundsätzlich möglich, aber nur wenn sie die persönliche Untersuchung des Patienten durch den Arzt ergänzt. Das heißt, es musste dennoch einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient geben. Das soll sich jetzt ändern. Der neue Wortlaut des § 7 Abs. 4 MBO-Ä besagt:

 

Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

 

Auch wenn der Fernbehandlung damit gewisse Beschränkungen auferlegt werden, die Änderung der MBO-Ä revolutioniert die Telemedizin. Erstmalig ist es Ärzten in Deutschland nun erlaubt, Patienten aus der Ferne behandeln zu dürfen, ohne dass es hierfür jemals einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient geben muss.

 

Hervorzuheben ist jedoch die Formulierung „im Einzelfall erlaubt“. In der Berufsordnung Schleswig-Holsteins – die dem Beschluss des Ärztetags zeitlich vorwegging – wurde die Fernbehandlung nicht auf dem Einzelfall beschränkt, sondern allgemein erlaubt. Der Ärztetag jedoch entschied sich mehrheitlich gegen eine solche Ausweitung der Fernbehandlung und behielt den Begriff des Einzelfalls bei. Wenn auch weiterhin Unsicherheiten hinsichtlich des Regelungsbereichs der neuen Vorschrift bestehen, der Ärztetag schien damit der Vorstellung vorbeugen zu wollen, die Fernbehandlung könnte den regulären Arzt-Patienten-Kontakt ersetzen und dem Patienten eine gleichwertige und dabei auch noch bequemere Behandlungsmethode bieten.

 

 

Chancen und Risiken der Fernbehandlung

Die Chancen und Risiken der Fernbehandlung sorgen seit Langem für Kontroversen. Im Fokus der Kritik steht die Befürchtung, die ausschließliche Fernbehandlung von Patienten könnte den Goldstandard des Arzt-Patienten-Kontakts gefährden. Schließlich sei die Qualität der Fernbehandlungen nicht gleichzusetzen mit der persönlichen Behandlung. Die Ausgestaltung der Fernbehandlung sei währenddessen dringend nötig und Teil des digitalen Fortschritts, so die Befürworter. Insbesondere könne die Fernbehandlung Engpässe in der (fach-)ärztlichen Versorgung schließen, wovon insbesondere ländliche Regionen profitieren würden.

 

Tatsächlich ist die Fernbehandlung längst in Deutschland präsent. Angeboten wird die medizinische Beratung über das Internet und Telefon jedoch häufig nicht von deutschen Ärzten, sondern von Unternehmen aus dem Ausland, die somit der deutschen Gesetzgebung entzogen sind. Der wohl bekannteste Anbieter, insbesondere wegen seiner Präsenz in den hiesigen Schlagzeilen, ist die britische Online-Arztpraxis DrEd. Das in London ansässige Unternehmen berät und behandelt Patienten aus ganz Europa und stellt sogar Rezepte über das Internet aus. Von 2011 bis 2017 hätten rund 400.000 Patienten aus Deutschland das Angebot genutzt. Dabei warnte das Gesundheitsministerium lange Zeit vor der Nutzung der Online-Arztpraxis. Mit der Änderung des Arzneimittelgesetzes in 2016 sollten den Praktiken von DrEd sogar endgültig ein Riegel vorgeschoben werden. So dürfen Apotheken nach dem neuen § 48 Abs. 1 AMG keine Arzneimittel ausgeben, wenn sie Grund zur Annahme haben, dass kein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat. DrEd kündigte jedoch kurz nach dem Änderungsbeschluss an, auch weiterhin Kunden aus Deutschland mit verschreibungspflichtigen Medikamenten versorgen zu können. Hierzu werde angesichts der neuen Beschränkungen eben mit anderen Versandapotheken aus der EU zusammengearbeitet. Nun scheint sich das Image von DrEd wieder zu bessern. Die Landesärztekammer Baden-Württembergs hat nun auch DrEd ein Modellprojekt zur Beratung und Behandlung deutscher Privat- und Kassenpatienten über das Internet genehmigt.

 

Währenddessen kann das größte europäische Telemedizin-Zentrum Medgate aus Basel seit seiner Zulassung im Jahr 2000 einen jährlichen Anstieg der Nutzerzahlen von rund 25 Prozent verzeichnen. Mittlerweile werden täglich durchschnittlich 2.500 Patienten beraten. Es ist somit sehr wohl ein steigender Bedarf an telemedizinischen Angeboten vorhanden, auch in Deutschland. Angesichts dessen sei es dringend erforderlich, dass die Ärzteschaft die Standards für die Telemedizin setze, wie auf dem Ärztetag wiederholt betont wurde. Ansonsten steht zu befürchten, dass zukünftig unter den Spielregeln kommerzieller Unternehmen gearbeitet werden müsse, was die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigen könnte. Es sei somit Aufgabe der Ärzteschaft die Richtung der Telemedizin zu bestimmen. Ein erster wichtiger Schritt, wurde mit der Änderung der MBO-Ä nun getan.

 

 

Laufende Modellprojekte

Um die Funktionalität der Fernbehandlung und deren Auswirkung auf die Qualität der Patientenversorgung wissenschaftlich zu prüfen, laufen in Baden-Württemberg zurzeit mehrere Modellprojekte. Im Oktober 2017 startete das bundesweit erste Pilotprojekt zur Fernbehandlung, welches sich jedoch nur an privatversicherte Patienten richtete. Insgesamt nehmen rund 200 Ärzte verschiedener Fachrichtungen an dem Projekt teil und testen unter anderem digitale Überweisungen und die Rezeptausstellung per Internet. Im April dieses Jahres startete sodann mit DocDirect das erste Modellprojekt für Kassenpatienten. Das Angebot ist zurzeit allerdings nur für Patienten aus Stuttgart und Tuttlingen zugänglich. Ursprünglich sollte auch hier die Online-Rezeptausstellung getestet werden, doch aufgrund juristischer Bedenken der Apotheken wurde von diesem Plan zunächst wieder Abstand genommen. In beiden Modellprojekten können Patienten über App, Internet oder Telefon Kontakt aufnehmen. Anschließend erfassen medizinische Assistenzkräfte die Symptome und beurteilen ihre Dringlichkeit, bevor sie die Patienten, sofern erforderlich, an einen Arzt weiterleiten.

 

 

Grenzen der Fernbehandlung

Trotz des allgemeinen Zuspruchs der Delegierten des Ärztetags für die Ausweitung der Fernbehandlung, hat das Ärzteparlament auch die Notwendigkeit gesehen, die Fernbehandlung mittels strikter Bestimmungen zu begrenzen.

Einer zentralen Besorgnis der Skeptiker von Fernbehandlungen wurde damit begegnet, dass es keine Fernbehandlung durch kommerzielle Anbieter geben soll, die sich auf diese Weise zur Konkurrenz für Vertragsärzte entwickeln könnten. Mit großer Mehrheit nahmen die Delegierten den Entschließungsantrag an, dass Fernbehandlungen in bestehende Versorgungsstrukturen eingebunden werden sollen (Entschließungsantrag IV-07). Ergänzt wurde diese Bestimmung durch eine weitere Entschließung, derer nach die Fernbehandlung im vertragsärztlichen Sektor nur durch Vertragsärzte im Rahmen des Sicherstellungsauftrags durchgeführt werden dürfe (Entschließungsantrag IV-09).

 

Uneinigkeit herrscht währenddessen weiterhin bei der Frage, ob es Ärzten künftig auch erlaubt sein soll, Verordnungen und Überweisungen online auszustellen. Das Ärzteparlament konnte sich hierzu nicht einig werden und überwies den entsprechenden Antrag an den Vorstand (Entschließungsantrag IV-03). Allerdings ist es ohnehin Sache des Gesetzgebers zu regeln, auf welche Weise Verordnungen u.ä. ausgestellt werden dürfen. Eine solche Regelung zu treffen, würde somit die Befugnisse des Ärztetags überschreiten. Der Gesetzgeber scheint von der Idee jedoch eher abgeneigt zu sein, bedenkt man, dass er es den Apotheken erst Ende 2016 untersagte Online-Rezepte anzunehmen.

 

Schließlich entschied der Ärztetag noch, dass keine Krankschreibung per Telefon oder Videokonferenz erfolgen dürfe, wenn der Patient dem behandelnden Arzt bislang unbekannt war (Entschließungsantrag IV-04).

 

 

Künftig auch Rezepte, Überweisungen & Co per Fernverordnung?

Trotz vieler noch immer offener Fragen und fortwährender Debatten, die Zulassung ausschließlicher Fernbehandlung stellt einen Meilenstein für die Telemedizin in Deutschland dar. Was nun künftig alles über App, Internet & Co möglich sein soll, wird Ärztegemeinschaft und Gesetzgeber wohl die nächsten Jahre noch intensiv beschäftigen. Besonders die Zulässigkeit von Rezepten, Überweisungen und Krankschreibungen per Fernverordnung wird wohl bis auf Weiteres die Debatte um die Fernbehandlung bestimmen.

 

 

 

Warinka Röschmann

Dr. Katja Paps (Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht)

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