Corona Update: Anspruch auf vorgezogene Corona-Impfung im „Einzelfall“ und Verfassungswidrigkeit der Corona-Impfverordnung?

Am 11.03.2021 wurde eine aktualisierte Fassung der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) verkündet, die bereits am 08.03.2021 -also rückwirkend- in Kraft getreten ist.

Dabei liegt die letzte Aktualisierung der Impfverordnung, die vor allem regelt, welche Personengruppen mit höchster, hoher oder erhöhter Priorität gegen das Coronavirus geimpft werden, erst einen guten Monat zurück.

Handlungsbedarf sah das BMG wohl nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Eilanträge, mithilfe derer Betroffene zuletzt gerichtlich eine vorgezogene Impfung gegen das Coronavirus zu erreichen versuchten, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Erkrankungen jedenfalls nicht zu der Gruppe mit höchster Priorität nach der Verordnung gehören.

Entschieden wird über entsprechende Eilanträge sowohl von Sozial- als auch von Verwaltungsgerichten, der Anspruch richtet sich dabei gegen das jeweilige Bundesland.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hatte etwa in zweiter Instanz über den Antrag eines 73-jährigen zu entscheiden, der aufgrund einer chronischen Herzinsuffizienz mit massiver Einschränkung seiner kardialen Funktion bedingt durch eine komplexe koronare Herzkrankheit eine sofortige, d.h. vorgezogene, Impfung gegen das Coronavirus begehrte. Dies vor dem Hintergrund eines von seinem Arzt bescheinigten erheblich erhöhten Risikos eines mit Komplikationen verbundenen Krankheitsverlaufs im Falle einer Covid-19-Erkrankung.

Im konkreten Fall entschied das LSG, das Sozialgericht Oldenburg habe den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in erster Instanz zu Recht abgelehnt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.02.2021 – L 5 SV 1/21 B ER (SG Oldenburg), BeckRS 2021, 888).

Aufgrund der nur begrenzten Verfügbarkeit von Impfstoffen sei eine Priorisierung erforderlich. Dabei werde den wissenschaftlichen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) gefolgt, an denen sich auch die CoronaImpfV orientiere. Nach der STIKO steige mit zunehmendem Alter das Risiko eines schweren bis tödlichen Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung, das Alter sei insofern der wichtigste Risikofaktor. Ein atypischer Einzelfall, der es erforderlich machen würde, von der Priorisierung abzuweichen, läge bei dem Antragsteller nicht vor.

Offen ließ der erkennende Senat insofern die Frage, ob die CoronaImpfV es zuließe, in atypischen Einzelfällen von der festgelegten Priorisierung abzuweichen und eine höhere Priorisierung zuzulassen, oder ob die Verordnung, wie mitunter vertreten, wegen des Fehlens einer entsprechenden Öffnungsklausel gar als verfassungswidrig anzusehen ist.

Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit einem vergleichbaren Antrag eines 78-jährigen Krebskranken, der vor dem Beginn einer Chemotherapie geimpft werden wollte, auseinanderzusetzen. Seinen Eilantrag lehnte es, wie zuvor der VGH München, mit Beschluss vom 22.02.2021 (1 BvQ 15/21) ab. Beide Gerichte hielten den Fall des 78-jährigen nicht für einen „atypischen Einzelfall“. Bereits der VGH München führte aus, dass die erforderliche Priorisierung selbst dann ähnlichen Kriterien folgen müsste, wenn die CoronaImpfV verfassungswidrig wäre, weil dies bei der Knappheit der verfügbaren Impfstoffe der Teilhabeanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG gebiete.

Anders entschied etwa zeitgleich das Verwaltungsgericht Potsdam: Der Antrag einer Tumorpatientin, die das Alter von 80 Jahren für eine Impfung mit höchster Priorität noch nicht erreicht hatte und der für den Fall einer Covid-19-Erkrankung ein exorbitant hohes Todesfallrisiko attestiert wurde, hatte dort Erfolg (noch nicht veröffentlicht, Beschluss vom 17.02.2021, Az. L 103/21).

Mit der Aktualisierung der Verordnung könnten sich einige vorher unklare Fälle geklärt haben, weil weitere Krankheitsbilder berücksichtigt werden. Ein auf vorzeitige Impfung gerichteter Eilantrag dürfte nach dem Vorstehenden jedenfalls nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn tatsächlich ein atypischer Einzelfall aufgrund eines deutlich erhöhten Todesfallrisikos besteht.

Rechtsanwalt Felix Hermann

fh@medizinanwalt.de

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